Posted by on 6. September 2017

Tatsächlich habe ich bisher keine Gemeinden getroffen, die wirklich lernen. Vielleicht bin ich noch nicht weit genug herum gekommen. Aber die lernende Gemeinde scheint mir zumindest kein Alltagsphänomen einer Kirchengemeinde zu sein.

Lernen wird weithin als die Aneignung neuer Fähigkeiten verstanden. In meinem Erleben von Gemeinde steht vor allem Bewahrung von Traditionen oder auch Angst vor Veränderungen im Zentrum des Denkens und Handelns. Es ist selbstverständlich auch möglich, dass die Lernprozesse solche lange Zeiträume umfassen, dass ich sie gar nicht erkenne. Weiterhin könnte ich auch Teil der Lernprozesse sein, und nehme diese deshalb nicht wahr.

Ein weiterer Begriff, der im Zusammenhang mit Veränderungen in Gemeinden jetzt immer wieder auftaucht, ist Innovation. Gerade wurde ich wieder eingeladen, Förderanträge für innovative Projekte in der Gemeinde abzugeben. Nur ist Innovation an sich noch kein Lernen. Etwas Neues zu beginnen oder etwas zu verändern, heißt ja nicht, dass etwas gelernt wurde. Außerdem braucht es sowohl für Innovationen als auch für Lernen Zeit. Zum Lernen muss es Zeit für den Wissenserwerb und das Aneignen der Fähigkeit und die Übung geben, für die Innovation braucht es Zeit als Freiraum zum Denken (und Experimentieren).

Woher kommt Zeit?

Zeit ist aber genau die Komponente die allen Kirchengemeinden, die mir in meiner Arbeit als Gemeindepfarrer und Organisationsberater begegnen, fehlt. Die Pfarrpersonen sind überfordert und die Ehrenamtlichen stöhnen, ob der Arbeitsbelastung. Alle anderen Mitarbeiter*innen zerteilen sich bereits zwischen den unterschiedlichsten Aufgaben oder Arbeitsorten.

Wenn Gemeinde wirklich lernt, und d. h. für mich zukunftsfähig werden will, braucht es eine radikale Abkehr von vielen eingefahrenen Prinzipien des kirchlichen Lebens. Da hat sich so einiges in die gemeindliche Arbeit eingeschlichen . Dazu gehört die Zeitvorgabe für die Mitarbeiter*innen im Verkündigungsdienst mit Dienstbeschreibungen genauso, wie der Segen von umfassenden zentralen Verwaltungen, die lokale Prozesse vermeintlich effizienter abwickeln können. Aus meiner Sicht sind diese, aus der Wirtschaft oder öffentlichen Verwaltung übernommen Cargokulte der eigentliche Hemmschuh für die lernende Gemeinde.

Wir wissen alle, dass man sich Zeit nicht kaufen kann. Zeit für geistliches Leben – und gemeindliches Lernen ist immer geistliches Lernen – lässt sich nicht durch effektive Nutzung oder noch enger getaktete Gottesdienste gewinnen, sondern nur durch radikalen Verzicht.

Ein Weg dazu kann ein Sabbatjahr sein. Gemeinden, die sich auf diesen Weg begeben, haben so viele Lernerfahrungen jenseits von Traditionen und Ängsten, dass wirklich Neues entsteht – manchmal sogar Innovatives.

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